
Statement zum Genozid an der palästinensischen Bevölkerung
Der aktuelle Genozid in Palästina ist kein Ausnahmezustand – er ist das Resultat einer über hundert Jahre andauernden kolonialen Gewalt.¹ Seit 2023 wurden mindestens 75’000 Menschen getötet.² Bei Angriffen wurden mehr als 64’000 Kinder schwer verletzt oder getötet.³ Wegen der systematischen Vernichtung im Gazastreifen wird Israel international stark kritisiert. Premierminister Benjamin Netanyahu und Verteidigungsminister Yoav Gallant stehen unter Haftbefehlen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit – Haftbefehle, die auch in der Schweiz vollzogen werden müssten.⁴
Doch es wäre falsch, nur die israelische politische Führung für den Genozid verantwortlich zu machen. Auch hier sitzen Mitverantwortliche; die Schweiz ist nicht neutral. Der Schweizer Staat und seine Politiker:innen ringen sich nach über zwei Jahren Genozid derweil zu Lippenbekenntnissen durch, aber tun am Ende gar nichts. Dies zeigt sich beispielsweise an der UBS und SNB, die fortlaufend in Unternehmen wie Elbit Systems und Caterpillar investieren, welche eng mit der IDF zusammenarbeiten.⁵ ⁶ Zudem profitieren Lieferanten von fossiler Energie von Israels Vorgehen.⁷ Importierte Kohle spielt dabei eine zentrale Rolle. Es ist eine der wichtigsten Energiequellen für das Errichten von illegalen Siedlungen und für das israelische Militär. ⁸ Fossile Konzerne wie Glencore, mit Sitz in der Schweiz, sind weitere Profiteure von Israels Genozid.
Israels Expansion basiert nicht nur auf Waffengewalt, sondern auch auf gezielter ökologischer Zerstörung.⁹ Israel kontrolliert einen Grossteil der palästinensischen Wasserversorgung und zerstört systematisch Ackerland, wodurch die Lebensgrundlage der Bevölkerung und die Artenvielfalt vernichtet wird.¹⁰ ¹¹ Diese Taktiken der Unterdrückung und Vertreibung verschärfen die Auswirkungen der Klimakrise.
Wir vom Klimastreik kennen diese passive Haltung der Schweiz nur zu gut. Im Schweizer Staat regieren die Reichen und Mächtigen und niemand kümmert sich am Ende tatsächlich um Gerechtigkeit und Leben. Bei unseren ersten Gehversuchen im Jahre 2019 haben wir mit grossem Vertrauen Petitionen geschrieben, mit Politiker:innen zusammengearbeitet und die damalige Bundesrätin Simonetta Sommaruga getroffen. Sechs Jahre später beschliessen nun genau diese Politiker:innen den Bau neuer Autobahnen und Gaskraftwerke. Aus dieser Erfahrung können wir nur schliessen, dass wir den Wandel nicht mit dem Staat erreichen werden.
Den Aufruf der Palästinabewegung zur Demonstration am 11.10. zu unterstützen, war für uns daher eine Selbstverständlichkeit. Das Gebot der Menschlichkeit und die Kritik am Schweigen des Schweizer Staates liessen für uns kein Zögern zu. Die Demo fand nach der Kaperung der Sumud-Flotilla und der Entführung der hunderten beteiligten Aktivist*innen durch die israelische Armee statt. Die Sumud-Flotilla war ein weiterer Versuch, humanitäre Hilfsgüter nach Gaza zu bringen und so die israelische Blockade zu durchbrechen. Global gingen in den letzten Wochen deswegen Millionen Menschen auf die Strassen und blockierten in verschiedenen Ländern die Infrastruktur, besonders in Italien mittels eines Generalstreiks. Über 8’500 Menschen nutzten auch in Bern ihr Demonstrationsrecht und erhoben ihre Stimmen gegen den Genozid in Gaza und dessen Schweizer Unterstützer:innen.¹²
Der Klimastreik wurde in den vergangenen Wochen in unzähligen Medien für den Aufruf zur Demo kritisiert. Die Auseinandersetzung mit antijüdischem Rassismus und dessen Bekämpfung sind für uns zentral.
Den Aufruf, den Widerstand auf eine neue Stufe zu heben, verstehen wir als Ausdruck der zunehmenden Wut gegenüber Politiker:innen und Konzernen, welche aus der Schweiz heraus aktiv die Klimakrise und den Genozid befeuern. Wir bedienen uns nicht jeglicher Ausdrücke dieser Wut: Die Aktionen des Klimastreiks orientieren sich an der Gewaltfreiheit.
Niemals nachvollziehen werden wir jedoch die Journalist*innen und Medienhäuser, welche in den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten ihre Informationsmacht missbraucht haben, um kritische Stimmen zur Schweizer Mitverantwortung im Krieg gegen Gaza zu delegitimieren.
Die Sachbeschädigungen an der Demonstration werden ins Zentrum gerückt, während die anhaltende humanitäre Katastrophe in Gaza und die gleichzeitig verübten Tötungen durch Israel – trotz des amerikanisch diktierten Waffenstillstands – kaum Erwähnung finden.¹³
Die Demonstration vom 11.10. wurde und wird als antisemitisch verschrien, während die Medien selbst entmenschlichende und rassistische Narrative reproduzieren¹⁴ – verschiedene jüdische Kollektive, die auch zur Demo aufgerufen haben und selbst von massiver staatlicher Gewalt betroffen sind, machen auf diese Tatsache aufmerksam: antizionistische Positionen sind nicht mit antijüdisch-rassistischen Positionen gleichzusetzen. ¹⁵ ¹⁶
Grundsätzlich ist klar: Wir sind für Frieden und gegen Krieg; gegen Unterdrückung und Tod. Wir wünschen uns eine Welt, in der Menschen in Würde und mit der Natur im Einklang leben können. Doch in einer Realität, die von Ausbeutung, Kontrolle und Ungleichheit geprägt ist, bleibt dieser Wunsch oft genau das: ein Wunsch. Was wir brauchen, ist eine Analyse der Verhältnisse – und den Mut, sie beim Namen zu nennen. Globale Machtverhältnisse zeigen sich nicht nur in sichtbarer Repression, sondern wirken auch im Stillen. Sie richten sich generell gegen die Marginalisierten und Kolonisierten und kriminalisieren diejenigen, die sich gegen den Status Quo auflehnen. Die UN-Resolution 37/43 von 1982 bestätigt das Recht unterdrückter Völker auf bewaffneten Kampf gegen die koloniale und fremde Herrschaft.¹⁷
In diesem Kontext ist es für uns zentral, den Stimmen des Globalen Südens Gehör zu verschaffen und den Globalen Norden für seine historische und gegenwärtige Schuld an der Klimakrise zur Verantwortung zu ziehen. Der Kampf gegen die Klimakrise ist daher ein Kampf gegen globale Machtstrukturen. Neben dem Kampf gegen den Kapitalismus bedeutet das für uns auch einen Kampf gegen unterdrückende Systeme wie den Kolonialismus, das Patriarchat, den Rassismus und weitere Formen von diskriminierenden Strukturen, die in einem intersektionalen Zusammenhang zur Klimakrise stehen.
Daher werden wir uns im Sinne der Klimagerechtigkeit solidarisch gegen die Zerstörung und die Vertreibung des palästinensischen Volkes stellen. Wir werden Bewegungen unterstützen, die entsprechend arbeiten und uns trotz medialer Hetze und Repression nicht spalten lassen.
Quellen:
1. Legal analysis of the conduct of Israel in Gaza pursuant to the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide | UN Human Rights Council
2. Die Todeszahlen aus Gaza dürften deutlich höher sein | Süddeutsche Zeitung
3. Violent and Nonviolent Death Tolls for the Gaza War: New Primary Evidence | medRxiv
5. UBS Group AG reports 507.82% increase in ownership of ESLT / Elbit Systems Ltd. | Fintel
6. Nationalbank investiert in umstrittene Firmen | SRF
7. EU risks breaching international law over Israeli gas deal, lawyers say | Global Witness
8. Colonial mining fuels Israeli genocide: global protests target Glencore | Peoples Dispatch
9. Israels Armee zerstört palästinensische Saatgutbank | SRF
10. Umweltfolgen des Kriegs in Gaza | taz
11. Militär und wohl auch Siedler zerstören Olivenbäume | taz
12. Die Skandal-Demo, die keine ist | Republik
13. Die Skandal-Demo, die keine ist | Republik
14. Antimuslimischer Rassismus in der Schweiz: Eine längst überfällige Studie | baba news
15. “Wir verwenden den Begriff „antijüdischen Rassismus“ anstelle von „Antisemitismus“. Damit stellen wir den
antijüdischen Hass in einen breiteren Kontext von Rassismus und lehnen die rassistische Vorstellung ab, dass Jüdinnen*Juden Semit*innen sind – eine Ideologie, die von deutschen Pseudowissenschaftlern im 18. Jahrhundert geschaffen wurde, um jüdische Menschen und unter anderem auch Muslime als „degenerierte“ semitische
Rasse darzustellen, im Gegensatz zu den reinen, weissen christlichen Europäer:innen. Die Verwendung des Begriffe „Antisemitismus“ zur Bezeichnung von antijüdischem Rassismus vereinheitlicht Jüdinnen*Juden als „Semit*innen“ und negiert damit die grosse Vielfalt von jüdischen Menschen auf der ganzen Welt und impliziert, dass sie ausschliesslich in ihrer biblischen semitischen „Heimat“ Palästina zu Hause sind.Die Verwendung des Begriffs vergisst die anderen Völker, die traditionell als „Semiten” klassifiziert werden, nämlich
die arabischsprachigen Völker, einschliesslich der Palästinenser*innen, und rechtfertigt damit
den anhaltenden Völkermord und die Kolonialisierung Palästinas.” (Eigene Übersetzung von S.15 aus “The German Playbook“)
16. Kollektiv Doykait (2025); The German Playbook
17. Right of peoples to self-determination | UN GA resolution